Günther Titz
- LONG ISLAND -
15.04… 16.05.2010
Zur Eröffnung der Ausstellung - LONG ISLAND - von Günther Titz am Donnerstag, den 15.04.09 um 19.30 Uhr laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein.
Einführung: Johannes Meinhardt
Günther Titz sucht nach Formen, wobei Form für den Künstler in erster Linie Proportionalität bedeutet – er distanziert sich dabei vom Prozess einer Komposition, von der Malerei als Schöpfung. Statt von einer Komposition wird jedes Bild von seinem eigenen Findungsprozess bestimmt.
Rede:
Johannes Meinhardt Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Günther Titz – Long Island“ am 15. April 2010 im Kunstverein Nürtingen Meine sehr geehrten Damen und Herren, Die neuen Fotos, die in Raum x zum ersten Mal in dieser Ausstellung gezeigt werden, demonstrieren noch deutlicher als die etwas älteren Fotos in Raum y zentrale Verfahrensweisen von Günther Titz, die, in einer Umkehrung, über die ich etwas später sprechen werde, auch in seinen Gemälde gefunden werden können und deren Beschreibung zur Erhellung dieser Arbeiten beitragen kann. Denn diese Fotos unterlaufen die selbstverständliche Evidenz der Fotografie. Dass Fotos, entstanden durch den objektiven, energetischen Prozess der Einschreibung des Lichts in eine fotorezeptive Schicht, mit sichtbarer Realität zu tun haben, ergibt sich aus ihrer Entstehung und Funktionsweise; dass diese eingeschriebenen Spuren des Lichts Realität erst aufzeichnen und daraufhin wiedergeben, zu sehen geben, ist eine sich quasi von selbst ergebende, wenn auch problematische Evidenz, die der Fotografie naturwüchsig anzuhaften scheint. Diese Evidenz deutet ganz selbstverständlich, wie im Prozess der alltäglichsten Wahrnehmung auch sonst, die eingeschriebenen Spuren des Lichts als Wahrnehmungsraum, angefüllt mit dreidimensionalen materiellen Körpern. Die Evidenz der Fotografie, die sich normalerweise als Medium nicht selbst zu sehen gibt, präsentiert ein Bild als eine reale Wahrnehmungssituation, einschließlich der räumlichen Beziehungen im Bildraum und des Aufbaus oder der Konstruktion dieses Raums. Diese Evidenz lässt in Frage stellen; beispielsweise so, dass das Sujet des Fotos selbst schon eine der Bildkante parallele, unbegrenzte, opake und monochrome Fläche ist, die rechtwinklig zur Blickachse fotografiert worden ist und die ohne Kanten das ganze Blick- und Bildfeld ausfüllt. Auf diese Weise lässt sich die Raumtiefe oder der Abstand zwischen fotografierter Fläche und Bildfläche des Fotos nicht absehen oder ablesen, wodurch eine irritierende Ununterscheidbarkeit oder Unentscheidbarkeit von Sujetfläche und Bildfläche entsteht. Diese Engführung von Sujetfläche und Bildfläche thematisiert die materielle und optische Fläche des Fotopapiers und macht die Fotografie als analoges Medium sichtbar. Eine spezifische Thematisierung der Fläche, die unentscheidbar sowohl materielle Fläche des Fotos als auch optisch-illusionäre Fläche des Abgebildeten ist, findet sich in den Fotos von Günther Titz zum Beispiel in einer sehr spezifischen Doppeldeutigkeit: der Doppeldeutigkeit des Schmutzes, der Beschmutzung der Fläche. Auf den abgebildeten Fensterscheiben oder auf den Fotos sind Schmutzspuren oder genauer staubige Sedimente von getrockneten Regentropfen sichtbar, so dass sich abgebildete Fensterfläche und materielle Oberfläche des Fotos verwirrend vermischen: befinden sich diese Spuren auf der abgebildeten transparenten Fläche oder auf der präsentierenden, ebenfall `transparenten ́ Fläche des Fotos? Ist das Foto schmutzig, in der Realität, oder bildet das Foto eine schmutzige Fläche ab, in der fotografischen Illusion? Die neuen Fotografien von Günther Titz gehen über eine solche einfache Unentscheidbarkeit noch hinaus; in ihnen ist es unmöglich oder fast unmöglich, die fotografierte räumliche Situation überhaupt irgendwie zu konstruieren oder zu rekonstruieren. Das Gezeigte besteht aus vielfältigen, unentwirrbaren, ineinander verschachtelten Räumen, die offensichtlich durch Glasscheiben oder Glaswänden sowohl getrennt sind als auch zusammenhängen, welche, abhängig vom Lichteinfall und von der Beleuchtung in den Räumen, teilweise spiegeln und auf diese Weise den Raum des Fotografen wiedergeben, teilweise transparent sind und auf diese Weise einen Raum hinter dem Glas zu sehen geben; dazu kommt, dass der Blick der Fotokamera oft nicht nur eine, sondern mehrere hintereinander gestaffelte Trennflächen aus Glas durchdringt oder an ihnen sich reflektiert. Aber auch die in der üblichen Raumwahrnehmung völlig problemlose Erschließung der Tiefe, der dritten Dimension des Raumes, funktioniert in diesen Fotografien nicht; die Tiefe des Bildraumes oder eher der verschiedenen Bildräume lässt sich nicht fassen; weder der Raum hinter dem Glas noch der gespiegelte Raum vor dem Glas liefert Anhaltspunkte, die ein messendes Erschließen der Tiefe erlaubten; es fehlen alle perspektivischen Linien, die in die Tiefe des Raums liefen, ebenso wie fast immer bekannte Gegenstände, die hintereinander gestaffelt als Maßstab der Entfernung fungieren könnten. In diesen Fotos verschränken sich erstens der illusionäre Bildraum und die materielle und zugleich optische Fläche des Fotos so ineinander, dass sie sich gegenseitig in Frage stellen und auf diese Weise beide Gewissheiten – die Evidenz des Fotos als Abbildung und die materielle Realität des Fotos als flacher Gegenstand – unterminieren. Zweitens aber treten unterschiedliche Räume, gespiegelte Räume und Räume hinter transparenten Trennwänden, miteinander in Konflikt; die abgebildete Realität selbst wird undurchschaubar; nicht weil sie verschlossen oder opak wäre, sondern umgekehrt, weil die unterschiedlichsten optischen Erschließungen von Raum gleichzeitig auftreten und sich unlösbar ineinander verflechten. Diese Fotos wurden nicht im Geringsten bearbeitet; es gibt also nicht den geringsten Grund, an ihrer materiellen Treue zu zweifeln. Fotografiert aber wurden sie in der Weise, dass der Blick der Kamera schräg, etwa im Winkel von 45°, durch unterschiedliche Fensterflächen fiel. Dabei wurden mehrere durchsichtige Wände bzw. Fenster im Raum hintereinander oder auch im rechten Winkel zueinander, in einem Raumwinkel, schräg durchblickt. Die Senkrechten der Fenster und Räume blieben erhalten, aber Waagerechten, die bei diesem Blickwinkel im Foto unvermeidbarerweise perspektivisch diagonal wiedergegeben würden, wurden vermieden bzw. abgeschnitten: so entstanden streng orthogonale Bildräume, als ob sich die Kamera im rechten Winkel zum aufgenommenen Fenster ausrichtet hätte. Scharfgestellt sind die Fotos dabei fast immer auf das nächste sichtbare Objekt, meist einen Fensterrahmen, der dann wie ein senkrechter, monochromer Balken mit unklarem Realitätsstatus neben den anderen Balken, in denen sich verschiedene Räume zeigen, in der Fläche des Fotos steht. Durch diese Abweichung von der Blickachse um 45°, durch diesen diagonalen Blick, wird der Raum aufgerissen: eine gestaffelte, durch Trennscheiben wie durch Schleier unterteilte und getrennte Vielheit von Räumen oder eher eine zerrissene Räumlichkeit wird sichtbar, in der verschiedene Räume und Flächen ununterscheidbar werden. Auch das Verhältnis dieser Räume zu den Flächen im Foto, zu den senkrechten Balken, wird undurchschaubar: in den Fotos stehen die verschiedenen Raumpartien teilweise wie senkrechte Tapetenbahnen nebeneinander, wie eine Collage senkrechter Streifen. So lässt sich in diesen Fotos fast nicht mehr feststellen, wo sich welcher Raum befindet; der illusionäre Raum der Fotos, der Bildraum, ist nicht mehr intelligibel: Räume hinter dem transparenten Glas und am Glas sich spiegelnder Raum des Fotografen vermischen sich untrennbar, vervielfacht durch die Staffelung von gläsernen Trennscheiben und Räumen, und ebenso werden flächige Partien des Sujets und materielle Fläche des Fotos so ähnlich, dass sie sich nicht mehr klar unterscheiden lassen. Gerade die traditionellen neuzeitlichen Kategorien der Intelligibilität, der Transparenz und der Reflexion, der Intelligibilität von Welt und der Reflexion des Selbst, die in die technische Selbst-Konstruktion des fotografischen Raums eingeflossen sind, erzeugen hier einen undurchschaubaren `Raum ́. Illusion und Bild vermischen sich und werden zu nicht mehr fassbaren optischen Phänomenen. Es ist kein Zufall, dass die Vermengung von fiktivem Bildraum und gespiegeltem, materiellem Betrachterraum eine zentrale Verfahrensweise der Minimal Art war: etwa in den