Martin Köhler
- A handful of dust -
12.10. - 12.11.2023
Martin Kähler - A Handful of Dust
„Denn Staub bist du und zum Staub kehrst Du zurück.“
Bevor er sie aus dem Paradies verbannt, erinnert der Schöpfer seine ungehorsamen Geschöpfe daran, dass sie selbst sterblich und alle Werke, die sie erschaffen, vergänglich sind. Auch müssen sie von nun an unter Schmerzen gebären und sich ihre Hände mit mühsamer Arbeit schmutzig machen, um essen zu können.
Eine Handvoll Staub – das ist hier der Gips, das sind hier die Sägespäne (englisch: saw dust).
Die Sägespäne, die sonst im permanenten Atelier häufig dazu verwendet werden, um Farbe oder Lack vom Boden zu entfernen und damit die Spuren des künstlerischen Arbeitens zu verwischen, legen hier bewusst Zeugnis ab von dem kreativen Prozess, der in diesen Raum als temporärem Atelier stattfand. Der poröse Gips bindet das rohe Material und fügt die Elemente zu einem labilen Gleichgewicht zusammen, das auch in Wechselwirkung mit der Beschaffenheit des Raumes steht.
Alle Arbeiten sind hier vor Ort entstanden. Die vagen Ideen und Vorstellungen waren - natürlich - zuerst da. Konzeptionell ging es für diese Ausstellung jedoch darum, den Raum gleichberechtigt in den Prozess ihrer Ausgestaltung miteinzubeziehen. Dafür war es zunächst erforderlich, die wahrnehmbaren Spuren im Raum zu lesen und zu greifen, was noch in der Luft lag. Dann mit dem im Äußeren Wahrgenommenen in einen Dialog zu treten und schließlich zu versuchen, eine Geschichte weiterzuerzählen, die mit der eigenen Perspektive durchdrungen und durch die eigenen Erfahrungen angereichert ist. Ein solches Arbeiten erfordert Präsenz und die Fähigkeit zur Resonanz sowie das Vertrauen, sich selbst dem kreativen Prozess überlassen zu dürfen und die Hoffnung, sich während dieses Voranschreitens nicht zu verirren.
Es hat hier im Raum fragile Objekte erzeugt, deren Kohäsion und innere Festigkeit auch durch den Rückgriff auf sakramentale Formsprache ermöglicht wird. Die Objekte erinnern an Dinge, die Heiliges in sich tragen und schützen. Die gebogenen Linien im Raum scheinen einen nackten Schrein aus Draht zu formen und der kalte Strahlenkranz, zusammengehalten durch den brüchigen Gips in der Mitte, lässt an eine Monstranz denken.
„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“
Die hier gezeigte künstlerische Arbeitsweise wird getragen durch den Glauben an die Ästhetik des armen Materials. Martin Kählers Arbeiten stehen in der Tradition der norditalienischen Arte Povera-Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre. Auch er bemüht sich um eine Poesie des Vorgefundenen und des Verbrauchten, rückt scheinbar Nebensächliches in den Mittelpunkt und verwandelt vermeintlichen Abfall zurück in Rohstoff.
Zu sehen sind vorrangig grobe, fast brutale Materialen, wie verbogener Draht und verformtes Blech, aber auch weiche, fast zärtliche Materialen wie einfaches Stroh und die erwähnten Sägespäne. Viele dieser Elemente werden durch porösen Gips zusammengehalten oder sind so ineinander verkeilt, dass sie unter starkem Zug und hoher Belastung stehen und gerade noch ihre Form erhalten können. Damit wird das rohe Material in Konfigurationen gebracht, in der das Ganze als Summe seiner Teile wie kurz vor Auflösung und Zerfall wirkt. Gleichzeitig sind Kählers Arbeiten jedoch ein entschiedener schöpferischer Ausdruck und vielleicht auch ein Versuch der Reparatur.
Martin Kähler wurde 1987 als erster Sohn einer Ärztin und eines Arztes in Heidelberg geboren. Er hat an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam gelernt sowie an der Städelschule in Frankfurt am Main unter Tobias Rehberger studiert. Heute lebt und arbeitet er zwischen dem norditalienischen Bergamo, woher die Familie seiner Mutter stammt, und Frankfurt.
Vertreten wird er von der Filiale, der Zweigstelle der Galerie Bärbel Grässlin in Frankfurt am Main.
Dr. Ulrich Baumann